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REFA – In Zeiten von KI und Digitalisierung noch zeitgemäß?


Aufgrund des internationalen Wettbewerbs, der verlangten Zeitschienen, den Anforderungen an die Produktqualität und auch dem Fachkräftemangel, stehen die Unternehmen immer mehr unter Druck; und der Mitarbeiter soll und darf nicht vergessen werden. Dabei wird heute viel über künstliche Intelligenz (KI) und Digitalisierung gesprochen. Welche Rolle spielt REFA noch dabei im tag-täglichen Geschäft, oder erlebt REFA – gerade mit seiner Methodenvielfalt, eine Renaissance?

Über diese und weitere zukünftige Anforderungen und vor allem Herausforderungen in fertigungsnahen Unternehmen, sprach Marc Decker, Stellvertretender Vorsitzender VDI Siegener Bezirksverein e. V., mit Olaf Kosin, REFA-Lehrbeauftragter im Regionalverband Osnabrück-Münsterland-Niederrhein.

Decker: Ich möchte direkt am Anfang einen Satz aus einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 14.10.1996 „Qualität ist mehr als ein gutes Produkt und optimierte Abläufe“ zitieren, der nach wie vor seine Aktualität nicht verloren hat. „In den Unternehmen wird der Mensch wiederentdeckt. Nach den Jahren der Rationalisierung, der Optimierung der Abläufe und der einseitigen Ausrichtung auf die Kosten wird jetzt allenthalben die Bedeutung des Humankapitals hervorgehoben.“ Herr Kosin, als langjähriger REFA-Fachmann und -Lehrbeauftragter, wie sehen Sie heute die Situation im Vergleich zu dem, was damals geschrieben wurde? Gab es eine Veränderung von der reinen Ausrichtung auf die Kosten und Produktivität, hin auf ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Technik und Mensch?

Kosin: Ausgehend von den Ursprüngen von REFA, mit der standardisierten Ermittlung und Gestaltung von Arbeitszeit, wurde neben den weiteren REFA-Methoden zur Produktivitätssteigerung, schon in den frühen 70er Jahren die Humanisierung der Arbeitswelt, in den Fokus gestellt.

Auch heute wird in der REFA-Grundausbildung unter der Überschrift – REFA-Methoden in der digitalisierten Arbeitswelt – mit den Teilnehmern herausgearbeitet, wie wichtig auch im Zeitalter der Digitalisierung die REFA-Methoden für ein effizientes humanorientiertes Produktivitätsmanagement sind.

Decker: Das heißt, wir erleben wieder die Renaissance von REFA, und REFA hat sich den neuen Herausforderungen, wie KI und Digitalisierung, angepasst und wird sich weiter anpassen. Damit man für die Zukunft und für die weiteren Herausforderungen vorbereitet ist?

Kosin: Beides ist meines Erachtens richtig. Die REFA-Methodenlehre ist gerade heute bei der Suche nach Optimierungspotential in den Unternehmensprozessen ein sehr hilfreiches Werkzeug. Die Grundsätze in der Vorgehensweise sind ebenso aktuell wie vor 50 Jahren. In den REFA-Regionalverbänden wird, in Zusammenarbeit mit dem REFA-Institut, kontinuierlich geprüft, wie die REFA-Methoden weiterentwickelt werden können. Damit die REFA-Methoden für die Unternehmen im Umfeld von Globalisierung, Fachkräftemangel, Automatisierung, KI, Digitalisierung u.ä. weiter nützlich sind.

Insbesondere das REFA-Institut erfüllt die Aufgabe die REFA-Methodenlehre an die Erfordernisse der Digitalisierung und die Anforderungen von Industrie 4.0 anzupassen.

Decker: Lassen Sie mich bitte noch genauer und ausführlicher nach KI und Digitalisierung fragen. Sind diese Technologien nicht die, die REFA entbehrlich machen?

Kosin: Aus meiner Sicht, sind die Digitalisierung der Arbeitswelt und der zukünftige Einsatz von KI zur Optimierung von Arbeitsprozessen, ohne die Grundlagen und Erkenntnisse der REFA-Methodenlehre gar nicht denkbar. Gerade der Kern der REFA-Methoden wie Arbeitssystemanalysen, Ermittlung von Vorgabe- und Planzeiten sind schon heute für den Einsatz von funktionierenden Produktionsplanungssystemen und einer automatisierten Leistungs-entlohnung unersetzlich.

Decker: Oder, jetzt will ich mal ganz verwegen sein und fragen, ob REFA auch auf KI und Digitalisierung angewandt werden kann?

Kosin: Wie bereits erwähnt, sind die Ergebnisse aus der Anwendung der REFA-Methodenlehre Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierung und zudem für die Entwicklung von Algorithmen, die das Rückgrat von KI darstellen. Digitale Lösungen führen nicht automatisch zu einer optimalen, funktionierenden Arbeitswelt. Je besser die Basis-Daten desto besser die späteren Algorithmen.

Decker: Können Sie aus Ihrer Arbeit mit REFA dazu ein Beispiel nennen?

Kosin: Nehmen wir als einfaches Beispiel die Daten aus einem klassischen REFA-Planzeitkatalog. Hier sind bereits Daten über Produktgeometrie, Materialien, Bearbeitungsschritten, Bearbeitungszeiten und anderen Einflussgrößen dokumentiert. „Füttert“ man damit einen entsprechend ausgestatten Rechner, kann dieser den Menschen bei neuen Produkten dabei unterstützen

  • Herstellungsmuster in der Produktpalette leichter zu erkennen
  • das beste Verfahren auszuwählen
  • Bearbeitungszeit und Kosten schneller und genauer zu ermitteln

Mit jeder Neuaufnahme bzw. Rückmeldung der Ist-Daten wird die Zuordnung und Ermittlung genauer.

Generell sind die Informationen aus Zeitstudien, Ablaufstudien, Materialflussanalysen, Auswertung von Transport- und Liegezeiten, Rüstzeituntersuchungen u.ä. besonders wertvoll, da sie recht umfassend und genau sind. Mit den Daten können entsprechend genaue digitale Abbilder der Produktion erstellt werden, aus denen dann mittels KI z.B. der Durchlauf verschiedener Prozessketten, simuliert werden kann. Es wird so schneller möglich, Prozesse miteinander zu vergleichen, um den besten, den schnellsten und/oder den günstigsten Prozess zu finden.

Decker: Gibt es denn heute schon eine REFA-Vorgehensweise, wenn Mensch und Roboter (sog. Cobots) zusammen agieren? Wie kann ein solcher Arbeitsplatz mithilfe von REFA bewertet und optimiert werden?

Kosin: Grundsätzlich steht neben der Zieldefinition, die Analyse des Arbeitssystems am Beginn jeder Veränderung. Die REFA-Methoden führen dazu, dass nicht nur der Arbeitsablauf exakt beschrieben wird, sondern auch, dass man zunächst die Prozessoptimierung durchführt, bevor man über die Arbeitsteilung zwischen Menschen und Maschinen (Cobot) nachdenkt. Die Suche/ das Aufdecken von Verschwendung und nicht wertschöpfender Tätigkeit bleibt nach wie vor Kernaufgabe der REFA-Fachkraft – unabhängig vom Automatisierungsgrad. Auch gibt es spannende Themen, wenn es um das Zusammenspiel zwischen Menschen und kollaborierenden Roboter (Cobot) geht. Hat sich der COBOT der Arbeitsgeschwindigkeit des Menschen oder der Mensch der Arbeitsgeschwindigkeit des Cobots anzupassen? Welche Leistung kann ein Mensch in derartigen Systemen über 7 oder 8 Stunden täglich erbringen? Insbesondere der Aspekt der Entlastung von monotonen oder körperlich belastenden Aufgaben sollte beim Einsatz von Cobots im Vordergrund stehen. Dieser Aspekt wird durch die systematische Beschreibung und Beurteilung des REFA-Arbeitssystems auch unter ergonomischen Gesichtspunkten berücksichtigt.

Decker: Jetzt haben wir sehr viel über sehr theoretische Aspekte gesprochen. Können Sie mir mal ein erfolgreiches Projekt von vor vielleicht 20 Jahren vorstellen.

Kosin: Da ich einen guten Teil meiner über 30-jährigen beruflichen Tätigkeit für die Optimierung und Führung einer Elektronik Produktion verantwortlich war, kann ich die Einführung der Leistungsentlohnung in der manuellen sowie automatischen Bestückung und in der Montage von Elektroniken nennen. Hierbei ging es nicht nur um die Ermittlung von Zeitvorgaben für die Montage, sondern auch um die Ermittlung von Kennzahlen zur Nutzung der Mensch/Maschine-Systeme. Die Einbindung der Mitarbeiter bei der Vereinfachung von Abläufen und des Arbeitsplatzlayouts, die Einflussnahme auf das Produktlayout bis hin zur Bauteileauswahl war für Produktivitätssteigerung von entscheidender Bedeutung. Themen wie z.B. ergonomische, höhenverstellbare Montageplätze und Prüfeinrichtungen sowie die Positionierbarkeit und Verwechslungssicherheit (POKA YOKE) von Bauteilen standen hier im Vordergrund. Die direkte Zusammenarbeit zwischen Produktionsmitarbeitern und den Kollegen der Produktentwicklung hat sich, insbesondere bei Neuentwicklungen, als besonders prägend und förderlich, erwiesen.

Decker: Und jetzt bitte ein Projekt aus der heutigen Zeit. Was hat Sie bzw. das Unternehmen für das Sie heute tätig sind dazu bewogen, REFA heranzuziehen, um gewisse Arbeitsabläufe zu optimieren?

Kosin: Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit hat uns bewogen weiter verstärkt auf die REFA-Methodenlehre zu setzen. So vielfältig wie die Anwendungsmöglichkeiten sind, so vielfältig sind auch die Projekte, die wir gestartet haben.

  • Ein Dauerthema ist die Aktualisierung unserer Zeitvorgabe durch zusätzliche REFA-Zeitstudien. Hier verfolgen wir die Ziele, unsere Kalkulationsgrundlagen kontinuierlich zu verbessern, unsere Planung und Steuerung zu optimieren und eine leistungsgerechte Entlohnung zu gewährleisten.
  • Als weiteres Projekt ist das Inhouse Seminar der REFA-Grundausbildung von Fach-und Führungskräften zu nennen. Diese Ausbildung führen wir durch, um das Wissen und die Anwendung der Methoden in Zeiten des demografischen Wandels und Fachkräftemangels im Unternehmen zu erhalten. Es gilt eine möglichst systematische Vorgehensweise bei der Prozessoptimierung, der Arbeitsbewertung und Leistungsbeurteilung für das Unternehmen zu sichern. Wir möchten so auch zukünftig schnell und eigenständig Verbesserungspotential zielorientiert erkennen und umsetzen.
  • Zusätzlich werden wir die Fertigungsorganisation in Richtung Mehrmaschinenbedienung weiter ausbauen. Die Anforderung kommt klar aus der zunehmenden Automatisierung von Anlagen und Prozessen, die diese Art des optimierten Mitarbeitereinsatzes erst möglich und notwendig macht. Als Grundlage zur Gestaltung und Optimierung setzen wir dabei auf detaillierte Arbeitsablauf- und Multimomentstudien.

Decker: Gibt es heute auch Unternehmen/Bereiche, wo REFA vor ca. 20 Jahren angewendet wurde und wo Sie heute sagen, dass würde ich dort an dieser Stelle nicht mehr anwenden?

Kosin: Insbesondere der Entlohnungsgrundsatz – Akkord – ist in Zeiten in denen nicht die reine Stückzahl, sondern besonders Qualität, Teamarbeit, Flexibilität, effiziente Ressourcennutzung eine bedeutende Rolle spielen, für die meisten Aufgaben nicht mehr zeitgemäß. Hier hat sich ein Wandel vollzogen, hin zum Zeitentgelt mit individueller Leistungszulage und zur Leistungsentlohnung z.B. mittels einer Gruppenprämie.

Decker: Wie sehen Sie REFA in 10 oder 15 Jahren? Es wird weitere sehr große und starke Veränderungen in der Produktions-Welt geben. Denken Sie, dass es dann immer noch Unternehmen gibt, die nach REFA, nach dem angepassten REFA, vorgehen werden?

Kosin: Wie schon in der Fragestellung formuliert, hängt sehr viel von der Entwicklung der Produktions- und Arbeitswelt ab. Wieviel Unternehmen wird es im produzierenden Gewerbe in 10–15 Jahren noch geben? Es stellt sich auch die Frage, wie umfangreich die Produktionsprozesse, insbesondere in Hinblick auf den Einsatz von Menschen, zukünftig sein werden. Bei zunehmendem Einsatz von Automatisierung und Robotik wird sich der Betrachtungsschwerpunkt vermutlich von der Leistungsbeurteilung und -bewertung weiter hin zum genauen Analysieren und Optimieren von automatisierten Arbeitsabläufen und Prozessen, verschieben. Die REFA-Methodenlehre bietet auch hier die Systematik, um Verschwendung im automatisierten Produktionsprozess aufzuspüren, zu bewerten und zu reduzieren.

Decker: Das heißt, dass mit REFA, auch in Zeiten eines starken Einsatzes von Robotern und vollautomatisierten Prozessen, den heutigen Anforderungen nach Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit genüge getan wird. Und somit eine weitere Optimierung durchgeführt werden kann?

Kosin: In der REFA-Ausbildung vermitteln wir, dass der Arbeitsplatz (ob mit oder ohne Robotik und Automation) als Arbeitssystem zu betrachten ist. Das bedeutet, dass durch die Beschreibung/Erfassung der 7 Systemelemente des REFA-Arbeitssystems, möglichst umfassend alle für die Produktion erforderlichen Ressourcen erfasst werden. Dazu gehört auch der Blick auf den Bedarf der benötigten Energie, der Hilfs- und Betriebsstoffe, des Materials und weiterer Ressourcen.

Wurde in der Vergangenheit im Wesentlichen danach gefragt, welche Ressourcen in einem Arbeitssystem benötigt werden, wird die Ermittlung der Verbrauchs- und Bedarfsmengen bei der Produktionsplanung immer bedeutungsvoller. Es gilt schon zu Beginn der Arbeitsgestaltung auf einen möglichst schonenden Umgang mit Ressourcen zu achten.

Decker: Herr Kosin, vielen Dank für dieses Interview.

 

Ingenieur forum 4/2022

 

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